Berlinale-Film „Une jeunesse allemande“
Instrument für den Kampf

 

Sogar Jean-Paul Sartre ging den Manipulatoren der RAF auf den Leim. Allerdings konnte er sich nicht auf eine so reiche Quellenlage stützen wie Jean-Gabriel Périot.

Wer von dem Filmemacher Jean-Gabriel Périot eine französische Sicht auf die RAF erwartet hat, wird enttäuscht. Leider ignoriert er die inzwischen aufgelaufene Quellenlage und hängt gestrigen Mythen an. Gleichwohl ist „Une jeunesse allemande“ ein fleißig zusammengetragenes Dokument des manipulativen Bilderkrieges.

Schon der Titel wäre für die Hauptakteure dieses Films eine Provokation gewesen, war doch der Begriff „Jugend“ in ihren Augen schon derartig reaktionär aufgeladen, dass sie seinerzeit mit faulen Eiern und anderen Wurfgeschossen darauf antworteten. Etwa als der Soziologe Ludwig von Friedeburg 1968 in der Frankfurter Universität eine Vorlesung über „Jugend in der modernen Gesellschaft“ hielt und den Begriff der Generation verwendete. Das ist nachzulesen in Wolfgang Kraushaars Bilanz „Achtundsechzig“, die 2008 erschien und der Mythenbildung um die RAF eine nüchterne Analyse entgegensetzt.

Der 1974 geborene französische Regisseur Jean-Gabriel Périot scheint gegenüber der Mythenbildung um die RAF jedenfalls nicht ganz immun zu sein. Das verrät ein aufschlussreiches Detail im Presseheft: In seiner Synopsis der Ereignisse setzt er den Selbstmord der RAF-Gründer 1977 in Stammheim in Anführungszeichen. Ebenso erwähnt er, dass es Zweifel am Selbstmord von Ulrike Meinhof gab. Mord oder Selbstmord – das war über Jahrzehnte die Gretchenfrage, ebenso simpel und erpresserisch wie jene Logik des „Wer nicht für uns ist, ist gegen uns“-Gebots oder das Gerede, entweder „Teil des Problems oder Teil der Lösung“ sein zu müssen. Phrasen von gestern. Terrorismus ist nicht verhandelbar, das allerdings sieht nun Jean-Gabriel Périot in seinem Presse-Statement ebenso: „Terrorismus ist nichts als Irrtum und Zerstörung.“

Warum es den RAF-Terroristen lange Zeit gelang, ihre Taten als Akt des Widerstands zu deklarieren, ist etwas, worauf „Une jeunesse allemande“ Antworten gibt. Obwohl sich Périot diese Frage vielleicht gar nicht gestellt hat. Schon während der Gerichtsverhandlung um die Brandstiftung in zwei Frankfurter Kaufhäusern im April 1968 waren die späteren RAF-Gründer gewiefte Manipulatoren, denen sogar Sarte auf den Leim ging, bis er nach einem Besuch in Stammheim konstatierte, das Baader „ein Arschloch“ sei. Das kommt im Film nicht vor. Wer von Périot eine französische Sicht auf die damaligen Geschehnisse in Deutschland erwartet, wird enttäuscht sein. Unendlich gestrig erscheint der Film, geprägt von Ignoranz gegenüber dem was in großer Fülle vorliegt: den Quellen. Denn diese sind enorm aufschlussreich – und nicht deren Reflex in Fiktionalisierungen (etwa Bernd Eichingers „Der Baader Meinhof Komplex“) oder ideologischen Debatten.

 

Kurzfilme animieren explizit zu Gewalt

Die große Ausnahme in der Flut an Aneignungen und Dramatisierungen der RAF, die irgendwann zum „Stoff“ geworden ist, bleibt „Black Box BRD“ von Andres Veiel. Er suchte Antworten auf die Frage, warum jemand in den Untergrund ging, in der Kindheit und Jugend seines Protagonisten Wolfgang Grams und stellt dies dem Weg des Bankers Alfred Herrhausen gegenüber. Viele der dokumentarischen Aufnahmen kennt man aus Veiels Film aus dem Jahr 2001, auch Veiel ist ein hartnäckiger Rechercheur.

Périot teilt diese Obsession für Bilder. Dabei zeigt er auch Material, das bisher nicht inflationär verwendet wurde. Filme, TV-Sendungen, Stimmen-Aufnahmen aus dem Gerichtssaal − es sind Dokumente, die den Krieg der Bilder dokumentieren. Denn den „bürgerlichen Medien“ wollte schon die Studentenbewegung eigene Bilder entgegensetzen. Der Film sollte ein elementares Kampfinstrument sein, dafür bestreikten sie ihre Hochschule, die 1966 gegründete DFFB, Holger Meins, der 1974 nach seinem Hungerstreik starb, gehörte zum ersten Jahrgang. Seine Kurzfilme allerdings, ausgiebig zu sehen in Périots Film, zeigen nicht nur Infantilität und einen bestürzenden Dilettantismus, sie animieren explizit zu Gewalt.

Périot zeigt diese Bilder nicht, um eine Erzählung zu beweisen oder zu illustrieren, die Bilder selbst sind die Erzählung. Sie laufen in der Chronologie der Ereignisse ab, ohne Rückblick – bis auf den Beginn, der missglückt ist – ohne Kommentar aus dem Off. Inserts kennzeichnen die Hauptakteure, wie sie im dokumentarischen Material auftreten – bis die Urgruppe des deutschen Terrorismus versammelt war und die Tragödie ihren Lauf nahm.

Auch Jahrzehnte nach dem fatalen Irrweg einer Gruppe hochausgebildeter, privilegierter junger Mittelschichts- Menschen erschüttert der Absturz einer so scharfsichtigen differenzierten Intellektuellen wie es Ulrike Meinhof in Verblendung und Wahn. Man hört es an ihrer Stimme – spürt es in ihrer Sprache. Es ist Périots Verdienst, dies unmissverständlich in die Gegenwart zurückzuholen.

 

Christina Bylow
Berliner Zeitung
13.02.1025